Trauma geschieht nicht nur bei extremen Ereignisse wie Krieg, Mißbrauch oder Gewalt, sondern kann auch in „normaleren“ Situationen wie beispielsweise Operationen, Unfällen, Stürzen entstehen.
Ein Trauma überschreitet deutlich die Kapazität des Betroffenen, egal ob körperlich, emotional oder mental. Und diese Kapazität ist immer subjektiv und veränderlich. Was für den einen in einer Situation eine Bedrohung bedeutet, muß für jemand anderen nicht mal Aufmerksamkeit erregen.
Entsteht in einer Situation eine übermäßige Bedrohung für uns bzw. unseren Körper, entscheidet ein tief verankertes Instinktsystem in uns, ob es besser ist zu kämpfen, zu fliehen oder zu erstarren. Das tut unser Körper ganz instinktiv, ohne unseren Verstand! Und das kann sehr gut funktionieren und unser Überleben sichern. Aber manchmal kann der Körper diese besondere Menge an mobilisierter Energie nicht wieder entladen und es entsteht ein Stau oder Kollaps. Das kann dazu führen, daß sich Körperteile oder Gefühle oder Gedanken in der Wahrnehmung fixieren oder abspalten.
Zum Beispiel sehen wir nach einem Hundebiss, der traumatisch verlaufen ist, überall nur noch gefährliche Hunde und es ist keine Unterscheidung mehr zwischen gefährlichen und ungefährlichen Hunden möglich. Oder ein Körperteil fühlt sich nach einer Operation nicht mehr zum Körper zugehörig an. Oder wir können nach einem Autounfall den Ort des Unfalls nicht passieren ohne dass Übelkeit oder Herzrasen hochkommt.
Das ist kein theoretisches Konzept, sondern eine ganz spürbare Nervenenergie, die sich in unterschiedlichen Beschwerden ausdrücken kann. Auf körperlicher Ebene können sich Stresszeichen zeigen, wie z.B. Herzrasen, Halsenge oder kalter Schweiss. Auf emotionaler Ebene können z.B. Gefühle wie Angst, Ohnmacht oder starke Aggression auftauchen. Und auf mentaler Ebene können z.B. dauernde Gedankenkreisläufe oder fixierte Glaubenssätze das Denken einschränken.
Hier eine Auswahl an möglichen Beschwerden
- Angstgefühle, Panikanfälle
- Herzklopfen, Herzrasen, Herzrhythmusstörungen
- Gefühle der Hilflosigkeit und/oder Machtlosigkeit
- Gefühl, nach dem Ereignis "schutzlos" durch die Welt zu gehen
- Hyperaktivität, kein "Zur-Ruhe-Kommen" möglich
- übertriebene, unangemessene emotionale Reaktionen und Schreckreaktionen
- zwanghaft wiederkehrende Bilder oder Erinnerungen, "Flashbacks"
- im Straßenverkehr ein "schlechter Beifahrer" sein, ständige Wut auf andere Autofahrer
- ständiges "Auf-der-Hut-sein", "Daueralarmbereitschaft", alles "abchecken-müssen"
- starkes Vermeiden bestimmter Umstände, bestimmter Auslöser
- Vorliebe für gefährliche Situationen, fehlende Gefahreneinschätzung
- verringerte Streßtoleranz
- verringertes Interesse am Leben, Rückzug aus dem bisherigen Umfeld & von nahen Menschen
- chronische Müdigkeit, Erschöpfung
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Schlafstörungen
- Taubheit/ nicht "normales" Gefühl in Körperbereichen nach Operationen
- psychosomatische Krankheiten wie z.B. Kopfschmerzen, Hautbeschwerden, Hals- und Rückenbeschwerden, Asthma, Störungen des Verdauungssystems, des Herzens und der Blase
- Störungen des Immunsystems (z.B. erhöhte Infektanfälligkeit) und hormonelle Störungen (z.B. Über- und Unterfunktion der Schilddrüse, Menstruationsbeschwerden)
Traumatische Ereignisse müssen nicht nur einmalig passieren, sondern können während unserer Kindheit ganze Entwicklungsphasen beeinflussen und uns unterschiedlich für die spätere Welt vorbereiten. Abhängig davon, wie die Eltern auf das Kind eingehen oder nicht, entfalten sich motorische, seelische und kognitive Anlagen auf ausgeglichene Art, bleiben unterentwickelt oder fixieren sich.
Dabei sind Motorik, Fühlen und Denken in der Kindesentwicklung besonders stark miteinander, aber auch mit der Bindung zu den Eltern verwoben.
Das Kind lernt z.B. nicht nur mit den Beinen zu laufen, sondern es lernt, daß es einen Raum, eine Welt außerhalb der Mutter gibt mit soviel neuen Möglichkeiten. Es entdeckt diese neue Welt mit viel Neugierde. Es lernt, daß es etwas Anderes ist als die Mutter und entwickelt ein eigenes Selbst. Und jenachdem wie die Mutter mit dem Bewegungsdrang des Kindes umgeht oder mit der Tatsache, daß das Kind sich von ihr entfernt, kann es sich beim Kind einprägen, daß der Raum/ die Welt außerhalb der Mutter nicht gut ist oder man das Eigene und die eigenen Impulse besser aufgibt um den Kontakt zur Mutter nicht zu verlieren. Und das Kind tut sehr viel unbewußt, um diesen Kontakt nicht zu verlieren.
Der spätere Erwachsene könnte dann z.B. Schwierigkeiten haben, anderen Menschen zu vertrauen, andere Menschen um Hilfe zu bitten. Vielleicht kann er für sich alleine Dinge gut entwickeln, aber im Kontakt mit anderen Menschen kann er sein Eigenes nicht aufrechthalten.
Unsere Muskeln, die für das Laufen und Bewegen in dieser Entwicklungsphase intensiver ausgebildet werden, hängen mit den Themen von Vertrauen - Mißtrauen, von Fremd - Eigen zusammen. Auf diese Weise "bauen" Muskelentwicklung und Entwicklung der Persönlichkeit zusammen die spätere erwachsene Körperhaltung und das Denken/Fühlen/Tun bezüglich bestimmter Themen. Und man kann an der heutigen Körperhaltung, der Bewegung, der Gestik und Mimik sehen, was in der Kindheit vorhanden war, was gefehlt hat und was es heute vielleicht zur Heilung, zur Erweiterung oder „Nachreifung“ braucht.
Es ist erfahrungsgemäß in der Traumaarbeit nicht heilsam, das traumatische Ereignis als Geschichte immer wieder zu erzählen und den Körper und die Seele durch die wiederkehrenden Bilder und Körperreaktionen in Streß zu versetzen. Diese Herangehensweise mag für andere psycho-emotionale Belastungen passen, führt aber bei Traumaarbeit meines Erachtens eher zu einer stärkeren Überforderung und wirkt nicht integrierend.
Ich habe mich für einen Weg entschieden, der den Körper miteinbezieht, da sich ein Trauma für mich nicht nur in der Seele oder im Denken, sondern auch im Körper, insbesondere im Nervensystem ereignet und fixiert. Aus eigener Erfahrung habe ich es als sehr heilsam erlebt, meinem Körper nicht mehr ausweichen zu müssen und dort eine neue, unbekannte Sicherheit zu finden.
Sicherheit, Stabilisierung und Stärkung der Grenzen bilden die Grundlage, um sich von den Nachwirkungen eines Traumas nicht überwältigen zu lassen. Was macht das Gefühl von Sicherheit aus, auf gedanklicher, emotionaler und körperlicher Ebene? Welche Zeichen gibt beispielsweise der Körper, wenn er sich sicher fühlt?
Wenn sich genug Stabilität gebildet hat, kann man weitergehen.
Die Frage die sich dann stellt, ist, wieviel von der ursprünglichen Schockladung kann der Mensch und sein Körper in kleinen Dosen ins Bewußtsein kommen lassen und in gesunder Weise ausdrücken? Ziel dabei ist, den Anteilen Raum und Zeit zu geben, die damals zuviel zu schnell durchleben mußten. Im Zuge dieses Prozeßes können sich unabgeschlossene Körperreaktionen endlich vervollständigen und eine Neustrukturierung zwischen der Vergangenheit und dem „Jetzt“ wird möglich, was letztlich Heilung ist.
Somatic Experiencing® www.somatic-experiencing.de
Bodynamic Analysis® www.bodynamic.de
Peter Levine "Sprache ohne Worte"
Peter Levine "Vom Trauma befreien"
Johannes B. Schmidt "Der Körper kennt den Weg"
Ian Mcnaughton "Body, breath & consciousness"
Laurence Heller & Aline LaPierre "Entwicklungstrauma heilen"